Lernstandsanalyse

Lehrerinnen und Lehrer werden in Schülertexten immer mit unterschiedlichen Schreibungen von Wörtern konfrontiert. Die Lernausgangslagen und Lernentwicklungen sind dabei von Kind zu Kind verschieden. Daher ist es nicht nur für Lehrerinnen und Lehrer, die neu in eine Klasse kommen (z. B. Klasse 1 oder Klasse 5), notwendig zu erfahren, welche Kompetenzen die einzelnen Kinder bereits mitbringen und welche jeweils als Nächstes angestrebt werden können.

Lernstandsanalyse (Teil 1): Wie lernen Kinder?

In der psychologischen Forschung wurden im letzten Jahrhundert viele Bedingungen formuliert, die für das Lernen günstig oder hinderlich sind. Auch die Neurobiologie hat in den letzten Jahrzehnten viele interessante Forschungsergebnisse zum Verständnis dafür beigesteuert, wie das Lernen im Gehirn funktioniert.

Die Gehirn- und Lernforschung zeigt, dass Lernen vor allem dann tragfähig ist, wenn es aus eigenem Antrieb heraus geschieht. Wenn die Voraussetzungen nicht stimmen, findet keine Erweiterung der Rechtschreibkompetenz statt. Hier nützt auch kein äußerer Druck. Die Erfahrung zeigt, dass Kinder den aus eigenem Antrieb heraus erzielten Lernfortschritt automatisch mit dem eigenaktiven Arbeiten verbinden. So kann tragfähige Lernmotivation entstehen.

Nicht die Lehrer(innen), sondern allenfalls die einzelnen Kinder können für sich herausfinden, unter welchen Bedingungen und mit welchen Methoden, Übungen und Materialien sie gut lernen können. Die Lehrer(innen) haben dabei die Aufgabe,

  • günstige Lernbedingungen zu schaffen,
  • zu beobachten, wie die einzelnen Kinder ihr Lernen gestalten und organisieren,
  • in der Praxis bewährte Methoden, Übungen und Materialien bereitzustellen,
  • mit den einzelnen Kindern zu besprechen, wie und mit welchen Methoden und Übungen sie ihr Lernen effizient gestalten können.

Für die jeweilige Analyse der Kompetenzen der Kinder ist es unerlässlich, die allgemein und fachspezifisch förderlichen und die das Lernen behindernden Bedingungen zu kennen. Ohne dieses Wissen ist eine fachlich fundierte Beratung der Kinder nicht möglich.

Lernstandsanalyse (Teil 2): Wo steht das Kind in seiner Lernentwicklung?

Die Inhalte des Lernfeldes „Rechtschreiben“ werden einerseits durch die Ordnung der Rechtschreibung und andererseits durch die in den Lehrplänen vorgegebenen Kompetenzerwartungen bestimmt. Ein fachlich fundierter Unterricht und die jeweilige Lernstandsanalyse der Kinder müssen sich hierauf beziehen.

Kinder nähern sich in ihren Schreibungen Schritt für Schritt an die orthografisch korrekten Schreibungen an. Die Kompetenzerwartungen der Lehrpläne beschreiben daher Entwicklungsschritte, die von den Kindern am Ende eines bestimmten Zeitraumes (z. B. Ende der Schuleingangsphase, Ende Klasse 4) vollzogen sein sollten. Wir sprechen deshalb auch von „angemessener Rechtschreibung“.

Die unterschiedlichen Schreibungen im folgenden Beispiel zeigen, auf welcher Stufe der Rechtschreibentwicklung sich die Kinder jeweils befinden:

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(in Anlehnung an May, 1990)

Hier wird das Wort „Bälle“ zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich verschriftet. Dabei zeigen die Beobachtungen der Schreibungen, dass Kinder den Rechtschreiblernprozess zwar unterschiedlich schnell durchlaufen, die Lernentwicklungen sich aber qualitativ nicht voneinander unterscheiden.

Die Rechtschreibwerkstatt legt ihrem Konzept die Ordnung der Rechtschreibung zugrunde. Dabei folgt sie dem Prinzip des kindlichen Lernens, welches sich als qualitativer Entwicklungsprozess gestaltet:

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Die Ordnung der Rechtschreibung, wie sie im Konzept der Rechtschreibwerkstatt beschrieben wird, bietet also eine differenzierte bzw. ergänzende Orientierung für die qualitative Analyse der Rechtschreibkompetenz und die Planung der individuellen Lernwege der Kinder und beantwortet damit die Frage, wo „auf dem Weg zur normgerechten Schreibung das einzelne Kind steht“ (Lernstandsanalyse).

Lernstandsanalyse (Teil 3): Kompetenzanalyse

Die qualitative Analyse der Rechtschreibkompetenz beinhaltet mehr als nur das Zählen oder die qualitative Auswertung von Verschreibungen, die Kinder in ihren eigenen Texten machen. Sie bezieht auch die Kompetenzen mit ein, die ein Kind benötigt, um die normgerechte Schreibung zu erlernen. Hierzu gehören grundlegende Lernbedingungen (z. B. Selbstkonzept, Motivation), eine fachspezifische Methodenkompetenz (z. B. die Methoden Abschreiben, Reflektieren) und die Kenntnis sachbezogener Übungen. Darüber hinaus muss die Bereitschaft hinzukommen, sich auf diesen Übungsprozess einzulassen.

Aussagekräftig wird die qualitative Analyse der Rechtschreibkompetenz dann, wenn die punktuellen Auswertungen der Schülertexte miteinander in Beziehung gesetzt, also Lernverläufe dokumentiert werden. Da die Schülertexte sich auch in Umfang und Stil verändern, ist eine genaue Analyse der Rechtschreibkompetenz und des Lernverlaufs jedoch nur eingeschränkt möglich. Hier können standardisierte Überprüfungen helfen. Die Rechtschreibwerkstatt verfügt mit dem „Bild-Wort-Test“ und der „Qualitativen Textanalyse“ sowie der Lernentwicklungstabelle über Instrumente, mit denen die Kompetenzentwicklungen der Kinder in regelmäßigen Abständen erfasst und dokumentiert werden können.